Artikel von AVANTI in der ak-Beilage "Die Linke und die sozial-ökologische Frage", Juni 2009

Nicht nur Kopenhagen: Die Klimabewegung muss radikal und lokal sein

von Avanti - Projekt undogmatische Linke, Klima AG

»Es kommt reingeflogen, landet, entfaltet Aktivität, schiebt eventuell Prozesse an und sollte aber tunlichst nicht mir nichts, dir nichts wieder wegfliegen. Die Insassen sollten Sorge dafür tragen, dass ihre Mission nachhaltig erfüllt wird - sonst bleibt nichts als eine verblassende Erinnerung an skurrile, dünnbeinige Aliens.« (1) Diese Feststellung aus unserer Auswertung des ersten bundesdeutschen Klimacamps in Hamburg, der das Problematische der Methode des Polit-Campings beschreibt, kann durchaus verallgemeinert auf linke Kampagnenpolitik gelesen werden. Trotzdem stehen viele schon mit einem Bein in der nächsten Kampagne: dem Protest zur Weltklimakonferenz COP15 in Kopenhagen im Dezember 2009.

Lange Zeit waren in der BRD als KlimaschützerInnen fast ausschließlich große Umwelt-Nichtregierungsorganisationen (NGO) wahrnehmbar. Sie konnten medialen Druck aufzubauen und viele Menschen erreichen, scheiterten aber immer wieder, gesellschaftliche Stimmungen in dauerhafte soziale Bewegung umzumünzen. Deshalb konnten etliche Schweinereien ungestört gegen den Willen der Mehrheit durchgesetzt werden.

Bestes Beispiel dafür ist der Kraftwerksbau in Hamburg-Moorburg. Er wurde durch eine schwarz-grüne Landesregierung genehmigt, obwohl die Mehrheit der HamburgerInnen gegen

den Bau ist. Was nützen Medienkampagnen, wenn Planung und Bau von mehr als 20 Kohlekraftwerken voranschreiten und damit langfristig dramatische CO2-Fakten geschaffen werden?

Die Anti-Atom-Bewegung hat gezeigt, wie es geht. Ihr Widerstand hat nicht nur gesellschaftliche Stimmungen beeinflusst, sondern auch Machtverhältnisse geschaffen, in denen sich die Atommafia angesichts des zu erwartenden Widerstands schon lange nicht mehr traut, in Deutschland Atomkraftwerke zu bauen. Diesen Zustand müssen wir auf alle Teile der Energie- und Klimafrage ausweiten: Gebraucht wird eine Bewegung als echte Gegenmacht.

Klima und politische Großwetterlage: Fast alles in Bewegung

Das Klimacamp im August 2008 hat erfolgreich eine neue Strömung sichtbar werden lassen. Links(radikal)e, bewegungsorientierte und globalisierungskritische Initiativen haben sich dem Klimathema zugewandt. Die viel beklagten, in Heiligendamm sichtbar gewordenen »klimapolitischen Leerstellen« wurden aufgearbeitet und vor allem inhaltlich Akzente gesetzt: Verbindungslinien zu antirassistischen und sozialpolitischen Themen wurden aufgebaut, Kapitalismus- und Wachstumskritik im Klimadiskurs hörbarer gemacht.

Erfreulicherweise hat sich diese Entwicklung inzwischen verstetigt. Neue Gruppen sind entstanden. Aus dem Klimacampprozess ist das Klima!BewegungsNetzwerk als offenes, breites aber radikales Netzwerkbündnis entstanden. In mehreren Städten haben sich lokale Klimaplena gegründet, die auch von den etablierten NGOs und der Linkspartei wahrgenommen werden. Neben unserer in der Klimapolitik noch neuen und spannenden Radikalität haben wir Erfahrungen in Sachen Bewegungspolitik anzubieten.

Klar: Auch wir können uns Bewegungen nicht aus den Rippen schnitzen, zumal hier im Konkreten die kleinteilige Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen und an Infoständen notwendig ist. Trotzdem können wir selbstbewusst an BündnispartnerInnen herantreten. Die NGOs brauchen uns, genauso wie wir ihre Legitimität gebrauchen können. Wir werden schon dafür zu sorgen wissen, dass eine entstehende Bewegungsdynamik mehr Potenzial als ein paar mediale Wellenschläge (um die Verhandlungsposition von PolitikberaterInnen zu verbessern) entfaltet.

Neue Szenesportart: Extrem-Gipfelhopping

»Als Antwort auf die Agenda der Eliten brauchen wir eine radikale und kraftvolle Klimapolitik von unten. Unsere Aktionen rund um den Gipfel in Kopenhagen sollen hierfür ein Startpunkt sein. Über die Grenzen von Ländern und Kontinenten hinweg wollen wir den falschen Lösungen des Gipfels gemeinsam unseren entschlossenen Widerstand entgegensetzen und damit beginnen, weltweite Klimagerechtigkeit zu erkämpfen. In gemeinsamen Debatten und Aktionen werden wir eine lokale, konfrontative Klimapolitik entwickeln. Wir glauben, dass wir von Seattle und Heiligendamm lernen können: Massenhafte, vielfältige, und entschlossene Aktionen in und um Kopenhagen herum können Stein des Anstoßes sein; können die Inspirationen geben, aus denen eine globale Klimabewegung entstehen kann. Diese muss vielfältig in ihrem Meinungen und Aktionsformen sein, offen für Menschen aus unterschiedlichen sozialen und ökologischen Bewegungen und sich ständig in ihren Diskussionen weiterentwickeln. Ein echter Wandel in der Klimapolitik muss von unten kommen!« So heißt es im Aufruf des Klima!BewegungsNetzwerks zum UN-Klimagipfel COP15. (2)

Die darin an die Gipfelproteste formulierten Ansprüche erscheinen verdammt hoch. KritikerInnen mögen einwenden, dass sich die radikale Linke einmal wieder von den Mühen der lokalen Arbeit ins Gipfelhopping flüchtet. Doch ein Signal zu setzten, das Stein des Anstoßes und Inspiration ist, mit dem sich eine ungehorsame Klimaprotestgeneration quasi mit einem Krachen einen Platz auf der Bühne erobert, ist ein lohnenswertes Ziel. Bereits jetzt wirkt sich die Mobilisierung produktiv auf die lokale und überregionale Vernetzung unseres Spektrums aus. Wenn nicht alle Energie in diesem Prozess aufgebraucht wird und das Bewusstsein besteht, dass Bewegungen eben auch von unten aufgebaut werden müssen und keine Medienevents sind, dann könnten sich beide Ansätze produktiv ergänzen.

Dafür muss aber klar sein, worum es geht: Die Gipfelproteste müssen radikal und unvereinbar sein und sich vom Politikberaterstil eingesessener Akteure abheben. Unsere Antwort auf die absehbare Niederlage der NGOs, mit Gipfelverhandlungen den Klimaschutz zu stärken, muss der Verweis auf direkten Widerstand sein.

Allerdings stecken wir vorerst in einer Zwickmühle. Die unterschiedlichen Klimaprotestakteure sind in der Beurteilung der COP-Verhandlungen gespalten. Ein Teil erkennt in den Gipfeln den Legitimierungsversuch eines globalen Herrschaftssystems, das für den Klimawandel verantwortlich ist. Andere wollen durch direkten Druck auf den Verhandlungsprozess ein besseres Ergebnis erzwingen. Mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung stehen wir - holzschnittartig betrachtet - vor dem klassischen Dilemma, entweder im Windschatten der offiziellen GipfelteilnehmerInnen vereinnahmt oder als radikale Minderheit isoliert zu werden.

Auch wenn die unterschiedlichsten Akteure in den Verhandlungen mitwirken, bestimmend sind letztlich die großen Industrienationen und die Lobbyorganisationen des Kapitals.  Beschlüsse haben eine symbolische Verbindlichkeit, selbst mit Strafzahlungen verbunden ist ihr Effekt gering im Vergleich zu den konkreten Machtverhältnissen und Profitinteressen. Selbst radikale Einsparversprechen (die vom Gipfel nicht zu erwarten sind) werden sich als unerfülltes Versprechen erweisen.

Vernetzung fördern und radikale Zeichen setzen

Durch sämtliche Beiträge der ak-Debatten zieht sich als roter Faden die Analyse, dass für wirklichen Klimaschutz in die Macht- und Eigentumsverhältnisse beherzt eingegriffen werden muss. Das ruft nicht nur implizit zur Tat auf, sondern schreit angesichts der NGOisierung der »Umweltkonflikte« nach exemplarischer, konflikthafter Bearbeitung. KlimaaktivistInnen haben keine andere Wahl, als Klimaschutz konkret zu erkämpfen - oder zumindest eine Blaupause solcher Kämpfe zu entwickeln.

Wir selbst müssen aktiv werden und dafür sorgen, dass z.B. Kohlekraftwerke lokal (perspektivisch weltweit) vom Netz gehen, indem wir den (politischen) Preis für Neubauten in die Höhe treiben. Dies wirkt, so die Hamburger Erfahrung, auch radikalisierend in die klassischen Umweltverbände zurück. Entweder wir schaffen es, die CO2-Industrie abzuschalten, Entschädigungszahlungen für vom Klimawandel betroffene Regionen durchzusetzen und Hand in Hand die Grenzzäune des Nordens niederzureißen oder es passiert nichts. Die konkreten Interessengegensätze lassen sich nicht in einem Gipfel aushandeln. Wirklicher Klimaschutz ist eine Machtfrage.

Wenn der Protest in Kopenhagen nicht nur ein singuläres Event sein, sondern den weltweiten Beginn einer kämpferischen Klimabewegung markieren soll, dann müssen wir auf Aktionen setzten, die real und symbolisch diese Botschaft repräsentieren. Bisherige Überlegungen im Rahmen der internationalen Vorbereitung, einen »Neuen Raum« am Zaun der Klimaverhandlungen zu besetzten, sind zu diffus. Es wurden deshalb zusätzliche Planungen für eine Massenaktion begonnen, bei der in die Produktion des Klimadesasters direkt eingegriffen werden soll.

Konkret könnte beispielsweise das Kohlekraftwerk (Betreiber Vattenfall!) in Sichtweite des Gipfelortes belagert, erobert und bestenfalls außer Betrieb gesetzt werden. Eine solche Aktionsperspektive hätte den Vorteil, weithin anschlussfähig zu sein, aber gleichzeitig die tatsächlichen Interessengegensätze offenzulegen. Angesichts der Erfolge des Widerstandes im Zusammenhang mit der Räumung des linken Jugendzentrums Ungdomshuset sind die lokalen Voraussetzungen für solche Aktionsformen gut.

Doch wie steht es um die lokalen Bewegungsperspektiven? Aufhänger für eine lokale Klimabewegung sind bisher die Auseinandersetzungen um Kohlekraftwerke. Beim Hamburger Klimacamp wurde mit der Bauplatzbesetzung eine Aktionsform aufgezeigt, die geeignet ist, Auseinandersetzungen zuzuspitzen. Mit »Energiekonzerne enteignen!« wurde eine Forderung entwickelt, die sowohl eine umweltpolitische Perspektive aufzeigt, als auch Anschluss an Sozialproteste gegen Privatisierung und hohe Strompreise bietet. Darüber hinaus halten wir neben der »Energiepolitik« die Frage nach »Mobilität« für ein weiteres Interventionsfeld.

Nicht erst seit dem grandiosen Kurzfilm »Wake up, freak out« (3) ist klar, dass es nicht darum gehen kann, individuellen Verzicht zur Lösung zu stilisieren. Ganz ohne Verzicht wird es nicht gehen. Aber ohne radikalen Umbau des Produktionssystems und ohne Ausweitung der demokratischen Kontrolle durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel erst recht nicht. Mit »individueller Moral« werden die für die ökologische Misere ursächlichen Faktoren, also die »Macht und Eigentumsfrage« kaschiert. Insofern muss eine systemkritische Linken den Fokus auf die »soziale Komponente der Klimafrage« legen - also auf die Eigentums- bzw. Verteilungsfrage.

Lokale Perspektiven - Alles für alle? ÖPNV umsonst!

Im Vorfeld des Hamburger Klimacamps wurde viel um die Forderung »Alles für Alle - und zwar umsonst!« diskutiert. Diese (hedonistische) Antwort auf die herrschende Verarmungsstrategie hat der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen nichts entgegensetzt und lässt die Produktionsverhältnisse außen vor. Aus umweltpolitischer und feministischer Perspektive kann zudem eine unhinterfragte Naturalisierung von Bedürfnissen nicht unser Ziel sein.

Dennoch bleibt Umweltpolitik erfolglos und antiemanzipatorisch, wenn sie nicht die Hoffnung auf ein besseres Leben verkörpert. Es gilt also, die demokratische Perspektive eines »Kommunismus im Überfluss« aufrecht zu erhalten. Dabei muss die Perspektive auf eine kollektive Organisierung der Bedürfnisbefriedigung gelegt werden, die eine Auseinandersetzung mit ihnen beinhaltet, ohne spießig oder uniform zu sein.

Die Forderung nach einem Grundrecht auf Mobilität, also kostenfreie Beförderung, kann hier ein exemplarischer Wegweiser sein. Mobilität, nicht Individualverkehr mit seinen massiven CO2-Emissionen gilt es angesichts steigender Energiepreise und dringend anstehender Abkehr von fossilen Energieträgern als Wert und Grundrecht zu verteidigen: »Mobilität für Alle!«.

Damit rückt das »Wie?« der Bedürfnisbefriedigung ins Blickfeld. Auch ist die berechtigte Frage Hendrik Sanders nach dem politischen Subjekt klimapolitisch begründeter Konflikte leichter zu beantworten. (vgl. ak 533) Nach wie vor ist der Milieubezug der Umweltthematik ein Hemmschuh. Es stimmt zwar nicht, dass Ökothemen nur ein Lifestyle-Wohlfühlprogramm für akademische Mittelstandskids sind, aber die Mobilisierungserfahrungen zeigen, dass die Linke hier die gleichen Probleme vorfindet wie überall. Sie kann sich in ihrer Mobilisierung auf bereits bestehende Szene begrenzen oder sie muss relativ mühsam, aber oft erfolglos auf breiter Front Verbindungslinien aufzeigen.

Anders beim »Verkehr«. Viele sozialpolitische Initiativen haben das Thema auf der Agenda: Sei es beim Kampf für Sozialtickets, gegen die Bahnprivatisierung, gegen den Individualverkehrswahn, gegen Straßenlärm, für Radwegbegrünung etc. oder auch in individualisierter Form als »UmsonstfahrerInnen«.

Am 16. Mai 2009 hat in Bremen ein erster Umsonstfahrtag stattgefunden. Trotz mäßiger Beteiligung der linken Szene (ca. 100 Leute waren mobilisiert worden) wurde die Forderung in den Medien breit thematisiert. Die Aktion und die mediale Resonanz weisen in eine Erfolg versprechende Richtung: Die Frage nach öffentlichen Grundrechten (Bewegungsfreiheit im städtischen Raum) konnte ohne Pirouette mit der Umwelttheamtik verknüpft werden. Unter Bezugnahme auf die Klimaproblematik konnte sich die Straßenbahn konkret angeeignet werden.

In der Bremer Aktion wurde der Charme der »Alles für Alle«-Forderung (nämlich das Versprechen auf universelle Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum) aufrechterhalten, auf Mobilität konkretisiert (und somit vorstellbar gemacht) und klimapolitisch upgedatet, während gleichzeitig ein Signal an die sozialpolitischen Initiativen gesendet wurde.

Mit der Richtungsforderung nach einem kostenlosen Nahverkehr kann die Linke die Perspektive auf Vergesellschaftung der Energieerzeugung und demokratischer Kontrolle ihrer Verteilung um ein weiteres zustimmungsfähiges Standbein ergänzen.

 

1) Zehn Tage Klimacamp: Alles richtig gemacht ... aber soll das etwa alles sein? Avanti- Auswertung des Klimacamps; www.avanti-projekt.de/p_antikap/pdf/KC_2008.pdf

2) Aufruf »Soziale Wende statt Klimawandel«; klima.blogsport.de/soziale-wende-statt-klimawandel

3) »Wake up, freak out - then get a grip« von Leo Murray, www.cinerebelde.org